Warum schreien Sterbende nach ihrer Mutter?

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Der Sterbeprozess ist ein tief bewegender Moment, sowohl für den Sterbenden selbst als auch für die Menschen, die ihn begleiten. Eine Beobachtung, die immer wieder berichtet wird, ist das Rufen nach der Mutter in den letzten Lebensmomenten – oft sogar bei sehr alten Menschen, deren Mütter längst verstorben sind.

Dieses Phänomen wirft viele Fragen auf: Warum schreien Sterbende nach ihrer Mutter? Hat es eine tiefere Bedeutung? Sind es neurologische Prozesse oder emotionale Mechanismen, die diesen Ruf auslösen? Oder steckt vielleicht eine spirituelle Dimension dahinter? In diesem Artikel beleuchten wir verschiedene mögliche Erklärungen für dieses ergreifende Verhalten.

Die Bedeutung der Mutterfigur im Moment des Todes

Die Mutter ist für viele Menschen die erste und wichtigste Bezugsperson im Leben. Sie ist diejenige, die Geborgenheit, Schutz und Trost spendet. Selbst Menschen, die ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter hatten, verbinden mit ihr oft eine tiefe, unbewusste emotionale Bindung.

Das Rufen nach der Mutter im Sterbeprozess könnte ein Ausdruck des tief verwurzelten Wunsches nach Sicherheit und Fürsorge sein – ein letzter Reflex, der uns in den Momenten höchster Not zurück zu der Person führt, die uns einst ins Leben geführt hat.

Besonders eindrucksvoll ist, dass selbst betagte Männer und Frauen auf dem Sterbebett nach ihrer Mutter rufen, obwohl diese oft schon seit Jahrzehnten tot ist. Dies zeigt, dass die emotionale Verbindung zwischen Mutter und Kind eine lebenslange Wirkung hat und in extremen Situationen wieder an die Oberfläche treten kann.

Neurologische Erklärungen: Was geschieht im Gehirn des Sterbenden?

Sterben ist nicht nur ein körperlicher Prozess, sondern auch eine Veränderung des Bewusstseins. Das Gehirn durchläuft in den letzten Lebensmomenten eine Reihe von komplexen Vorgängen, die das Verhalten eines Sterbenden beeinflussen können.

1. Rückkehr zu frühen Erinnerungen

In der Sterbephase schaltet das Gehirn oft in eine Art Traum- oder Dämmerzustand. Viele Wissenschaftler vermuten, dass in diesem Zustand frühkindliche Erinnerungen besonders präsent sind. Die ersten Bezugspersonen, die wir im Leben hatten – meistens die Mutter – erscheinen dann besonders deutlich.

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Warum?

  • Das limbische System, das für Emotionen und Erinnerungen zuständig ist, wird im Sterbeprozess besonders aktiv.
  • Kindheitserinnerungen, insbesondere solche mit starken emotionalen Verknüpfungen, könnten intensiver wahrgenommen werden.
  • Das Rufen nach der Mutter könnte ein Reflex sein, der aus dieser neuronalen Rückkehr zu frühen Erinnerungen resultiert.

2. Angst und Schutzbedürfnis als Reflex des Gehirns

Der Sterbeprozess ist für viele Menschen mit Ungewissheit und möglicherweise auch mit Angst verbunden. In Stress- oder Schockmomenten neigt das Gehirn dazu, instinktiv Schutz bei den primären Bezugspersonen zu suchen – und das ist in den meisten Fällen die Mutter.

Dies lässt sich auch in anderen Extremsituationen beobachten:

  • Menschen, die schwer verletzt wurden oder in Lebensgefahr schweben, rufen oft nach ihrer Mutter.
  • Soldaten auf dem Schlachtfeld wurden häufig mit den Worten „Mama“ auf den Lippen gefunden.

Das Gehirn scheint also in Todesnähe eine Art Notfallprogramm zu aktivieren, das auf instinktive Schutzsuche setzt.

Emotionale und psychologische Erklärungen

1. Das Urbedürfnis nach Geborgenheit

Das Bedürfnis nach Trost und Schutz endet nicht mit dem Erwachsenwerden. Auch wenn wir uns im Alltag unabhängig fühlen, bleibt in uns das tiefe, unbewusste Bedürfnis nach Sicherheit bestehen.

Im Moment des Sterbens, wenn der Körper schwach wird und das Bewusstsein sich verändert, könnte dieses Urbedürfnis wieder verstärkt in den Vordergrund treten. Das Rufen nach der Mutter ist dann weniger ein bewusster Akt als vielmehr eine Rückkehr zu dem stärksten Gefühl von Geborgenheit, das wir im Leben kannten.

2. Abschied von der ersten großen Bindung

Einige Psychologen sehen das Rufen nach der Mutter auch als symbolischen Akt des Abschieds. Die Mutter ist die Person, die das Leben geschenkt hat – und wenn das Leben zu Ende geht, könnte der Sterbende sich unbewusst an den Anfang seines Daseins zurückerinnern.

Das Rufen nach der Mutter könnte also auch ein emotionaler Übergang sein, eine letzte Verbindung zur Quelle des Lebens, bevor der Tod eintritt.

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Spirituelle Erklärungen: Holen Verstorbene ihre Liebsten ab?

In vielen Kulturen und religiösen Überzeugungen wird der Moment des Todes als Übergang in eine andere Existenzform betrachtet. Ein weit verbreiteter Glaube ist, dass Verstorbene den Sterbenden „abholen“, um ihnen den Übergang zu erleichtern.

1. Begegnung mit bereits Verstorbenen

Es gibt zahlreiche Berichte von Menschen, die im Sterben liegende Angehörige begleitet haben und von ungewöhnlichen Erlebnissen erzählen:

  • Sterbende sprechen plötzlich mit unsichtbaren Personen im Raum.
  • Sie lächeln oder greifen nach jemandem, den andere nicht sehen können.
  • Sie berichten kurz vor dem Tod, dass ihre verstorbenen Eltern oder Geschwister sie besuchen.

Wenn ein Sterbender nach seiner Mutter ruft, könnte das nach dieser Vorstellung bedeuten, dass er sie tatsächlich sieht oder ihre Anwesenheit spürt.

2. Der Tod als Rückkehr zur Mutter

In spirituellen Lehren wird der Tod oft als eine Art Rückkehr zur Quelle des Lebens beschrieben. Die Mutter symbolisiert diese Quelle in einer sehr realen, körperlichen Form.

  • Manche sehen das Rufen nach der Mutter als ein Zeichen dafür, dass die Seele des Sterbenden sich auf ihre letzte Reise begibt.
  • In einigen Kulturen wird der Tod mit Geburt verglichen – so wie ein Kind aus dem Mutterleib in die Welt geboren wird, könnte der Tod als eine Art „Wiedergeburt“ in eine andere Daseinsform betrachtet werden.

Erfahrungsberichte von Angehörigen und Sterbebegleitern

Zahlreiche Menschen haben das Phänomen des Rufens nach der Mutter am Sterbebett eines geliebten Menschen erlebt. Hier einige bewegende Berichte:

  • „Mein Vater war 92 Jahre alt, als er starb. Er hatte seit seiner Kindheit nicht mehr über seine Mutter gesprochen. Doch in seinen letzten Stunden rief er immer wieder: ‚Mama, ich komme.‘ Es war, als würde er sie sehen und sich freuen, sie wiederzusehen.“
  • „Meine Tante war im Sterben und sprach mit jemandem, den wir nicht sehen konnten. Sie sagte: ‚Mama, hältst du meine Hand?‘ Wenige Minuten später starb sie mit einem Lächeln im Gesicht.“
  • „Mein Großvater war sein Leben lang ein sehr rationaler Mensch, glaubte nicht an ein Leben nach dem Tod. Doch kurz vor seinem letzten Atemzug flüsterte er: ‚Mama, hilf mir.‘ Ich glaube, dass er Trost gesucht hat.“
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Fazit: Ein letzter Ruf nach Liebe und Geborgenheit

Das Rufen nach der Mutter im Moment des Todes ist ein tief bewegendes Phänomen, das sich auf verschiedenen Ebenen erklären lässt. Ob als neurologischer Reflex, als psychologische Schutzreaktion oder als spirituelle Wahrnehmung – es zeigt, dass der Sterbeprozess nicht nur ein körperliches Ereignis ist, sondern auch von tief verwurzelten Gefühlen und Erinnerungen begleitet wird.

Für Angehörige kann dieser Moment schmerzhaft, aber auch tröstlich sein: Es zeigt, dass selbst in den letzten Momenten des Lebens das Bedürfnis nach Liebe, Nähe und Geborgenheit bestehen bleibt. Und vielleicht ist das Rufen nach der Mutter letztlich nur ein Ausdruck davon, dass niemand den letzten Weg ganz allein gehen muss.

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Mariana Schwedt
Mariana Schwedt
Auf „Aktuelles Wissen“ hat Mariana Schwedt ein Zuhause gefunden, das ihren Werten und ihrer Leidenschaft für das Teilen von Wissen entspricht. Hier erforscht sie eine breite Palette von Themen, von den neuesten wissenschaftlichen Durchbrüchen bis hin zu gesellschaftlichen Entwicklungen und kulturellen Phänomenen. Dabei zeichnet sich ihre Arbeit durch eine klare, journalistische Handschrift aus, die auf Fakten und Recherche basiert.